Vierpoltheorie

Im Hagakure wird von einem Samurai berichtet, der den Abt eines buddhistischen Klosters auffordert, einen Angehörigen des Samurai nicht zu unterrichten, damit der nicht verweichlicht werde. Der Abt zeigt Einsicht und erklärt dem Samurai, das er ihn verstehe und deswegen seiner Forderung Folge leiste. Daraufhin stellt der Samurai sicher, das der Abt seinen Neffen in Ruhe lässt.

Macht ist, sich ohne lästige Überzeugungsarbeit durchsetzen zu können.

Einsicht kann ein Angriff auf diese Macht sein, den die der Einsicht zugrunde liegenden Voraussetzungen können sich ja ändern.

Lebende Organismen führen als offene Systeme eine Grundoperation aus: Sie exportieren Entropie in ihre Umwelt. (Das ist das Gleiche wie der Import von Negentropie aus der Umwelt.) Um das tun zu können, müssen sie sicherstellen, dass das möglich ist. Sie maximieren Redundanz, also den Abstand zwischen der aktuell maximal möglichen Entropie des Organismus und seiner tatsächlichen aktuellen Entropie. Wird dieser Abstand negativ (z.B. aus der Sicht des Abtes durch Maßnahmen des Samurai), dann endet das Leben des Organismus. Darum streben Organismen an, die Redundanz zu maximieren, um einen sicheren Abstand zum Tod zu gewinnen. Das kann der Organismus auch dadurch erreichen, dass er die Entropie seiner für ihn relevanten Umwelt senkt (und z.B. den ihn störenden Abt aus dieser Umwelt ins Nirvana exportiert).

Nicht nur Samurais und Äbte sind Organismen, sondern auch Pflanzen und Politiker. Manche Pflanzen vergiften den Boden so um sich herum, dass es auf diesem Boden weniger pflanzliche Wettbewerber gibt, die ebenfalls Entropie in die mit anderen Pflanzen geteilte Umwelt loswerden wollen. Entsprechend gibt es auch Politiker, die ihre Mitbewerber vergiften.

Dazu brauchen Pflanzen und Politiker die Macht, die Aufnahmefähigkeit ihrer Umwelt für ihren Entropieexport zu maximieren. Politiker haben da viel mehr Möglichkeiten als Pflanzen. Politiker können zum Beispiel mit Sonderoperationen versuchen, Nachbarn loszuwerden, die die von diesen Politikern regierten Bürger auf den Gedanken bringen könnten, die sie beherrschenden Despoten loszuwerden.

Was totalitär regierende Politiker auch nicht mögen, ist, dass man ihnen widerspricht. Gäbe es eine Gewaltenteilung in ihrem Land, dann würde den dort regierenden Politikern hin und wieder widersprochem. Weil der Machterhalt eines einzelnen Führers (es gibt nicht so viele weibliche Despoten) Priorität hat, gibt es in totalitär regierten Ländern keine für Fehlerkorrekturen ausreichende Gewaltenteilung. (In China entwickelte sich mit Deng XiaoPing eine pragmatische Gewaltenteilung innerhalb der herrschenden Klasse. Xi JingPing hat diese Errungenschaft wieder zurückgebaut. Das Land ist wieder bei Mao ZeDongs Totalitarismus gelandet, mit high-tech Instrumenten der Marke 1984 doppelplus.)

Natürlich wollen auch Politikerinnen (ich wechsele jetzt um der Ausgewogenheit der Begriffsverwendung willen mal das Geschlecht) in Demokratien ihre persönliche Macht maximieren. Kritiker der Demokratien werfen das auch demokratischen Politikerinnen gerne vor und behaupten, dass diese Demokraten deswegen nicht besser seien, als die Despoten. Aber weil in den meisten Demokratien Gewaltenteilung als Korrekturmechanismus einigermaßen funktioniert, wird aus der versuchten Machtmaximierung Einzelner im Zusammenspiel mit allen anderen Entropiexporteurem im Land (also auch mit den regierten Bürgern) eine Fehlerkorrekturen ermöglichende Machtverteilung und Machtoptimierung. Gewaltenteilung ist die Teilung von Macht.

Multipolarität ist nicht neu. In einer Welt mit vielen Nationen gibt es Multipolarität, seit sich Nationen zusammentun. (Leider wird die Entropieproduktion der Waffen der Nationen und Individuen immer stärker, insbesondere im Bezug auf die wohl viel langsamere geistige Entwicklung der Nutzer dieser Waffen.)

Es gibt hier wieder vier Pole:

  1. Moderne Systeme mit internen Korrekturprozessen, die auf der Optimierung einer systeminternen Gewaltenteilung (z.T. gestärkt durch einen ausreichend ausgeprägten Föderalismus) basieren.
  2. Traditionelle Systeme, in denen Machthaber die Gewaltenteilung in ihrer Nation zur Maximierung ihrer persönlichen Macht minimieren (Korruption, Zensur, manipulierte Wahlen, Exklusion von Bevölkerungsgruppen, Instrumentalisierung der Religion usw.), und als Nationalisten versuchen, diese Macht mit über die Landesgrenzen hinausgreifende Konflikten zu stärken.
  3. Opportunistische Systeme, die versuchen, ihre Möglichkeiten zum Entropieexport in die mit den anderen Systemen geteilte Umwelt dadurch zu optimieren, dass sie die anderen drei Systeme gegeneinander ausspielen.
  4. Systeme, die der Reibung zwischen den ersten drei Systemen und deren sonstiger Entropieproduktion zum Opfer fallen (und z.B. als Inselstaaten im Meer absaufen oder in Stellvertreterkriegen in Schutt und Asche gelegt werden usw.)

Es gibt wohl Länder, die man mehreren der vier Gruppen zuordnen kann. Indien ist hier besonders interessant. Das Land liegt aus meiner Sicht vorwiegend in den Gruppen 1 und 3. Die Gewaltenteilung wird in dem Land vermutlich durch die Stärke der vielen kulturell unterschiedlichen Bundestaaten Indiens mit ihren eigenen Sprachen und Schriften gefördert. (Das ist ein Unterschied z.B. zu Föderalismus in Deutschland, wo die kulturellen Unterschiede zwischen den Bundesländern im Vergleich zu Indien geringer sind.)

Die steigende Entropieproduktion der Menschen findet leider in einer Biosphäre statt, die ein nur beschränkt offenes System ist. Darum ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Entropie sowohl unserer sozialer Systeme wie auch des thermodynamischen Systems, in dem wir leben, steigt.

Wahrscheinlich werde ich diesen Artikel noch mehrfach überarbeiten müssen.

 
2023-09-13

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